...kurz in der Ostsee gebaden... (von Rainer Schweigler aus Chemnitz)
Ok, das allein macht noch keinen Mann, aber, ich hatte einen „lustigen“ Weg zum Strand … Vom Fichtelberg zum Kap Arkona – 624 km non stop und weil mir selbiger mit dem Auto einfach zu nervig ist, bin ich halt gerennradelt.
Guten Abend Olaf,
meine Radsportfreunde wollten vor kurzem wissen, was ich zum Monatswechsel Juni/ Juli so getrieben habe. Ich habe ihnen einen chronologischen Miniabriss gemailt … vielleicht willst du ja zum Feierabend ein wenig mitschmunzeln? ;-)
Ja, ich hab´ s geschafft, nach einer fast zweijährigen Vorbereitungsphase hatte ich heuer das Glück einen Startplatz bei dieser, inzwischen international begehrten, Challenge zu ergattern.
Im letzten Jahr war ich schon einmal perfekt vorbereitet … frühjährliches Trainingslager auf Malle, Trainingskilometer ohne Ende (bei jedem Wetter) Urlaub im Zeitraum erbettelt … aber eben dann doch keinen Startplatz bekommen L
Ok, also dieses Jahr das gleiche Spiel – mit mehr Glück?
Klar – ich war bei der ersten Verlosung sofort einer der Glücklichen (vielleicht gibt es auch sowas wie einen geheimen Numerus clausus ;) … oder die NSA hat nachgeholfen? ;-)
Als ich mir in Malle die ersten 2013er – km emotions – und rücksichtslos unbedacht in meine winterschläfrigen Beine pumpte, war ich noch meilenweit vom Gelingen dieses Vorhabens entfernt, habe gleich nach der zweiten Ausfahrt Lehrgeld bezahlt … aber ab diesem Zeitpunkt auch viel richtig gemacht ;-)
Ich habe auf Leute gehört, die es – aufgrund ihrer Erfahrungen – einfach besser wussten.
Also bin ich bereits Anfang Mai mit relativ „guten Beinen“ in die neue Saison gestartet. Und dann … gezieltes radeln ;-)
Aber was habe ich nun am Wochenende (29./ 30.06) wirklich getrieben?
· Samstag, Wecker auf sechs … verschlafen, dreiviertel sieben aufgestanden
· Nudeln aus Zeitmangel trocken reingewürgt
· Abfahrt 07:30 Uhr (Einschreiben am Fichtelberg 08:00 Uhr)
· Ankunft am Fichtelberg … 08:30 Uhr (zwei Umleitungen – bin fast vor Angst gestorben meinen Startplatz zu verlieren;)
· Komplettes Umziehen, weil´s am Start bei 6°C nieselt … absolutes Fahrradwetter
· 10:00 Start, 10:03 Uhr, erstes runterschalten – meine Kette liegt neben dem kleinen Blatt L… ich muss Abreißen lassen, das Feld entfernt sich …
· 10:25 Uhr, ich habe das Loch zugefahren – böser Puls L
· 12:00 Uhr, Chemnitz, ich habe mein Lächeln wieder … was beim Anblick von Kolja – einem Trainingspartner – unter dem Kopf von olle Marx – zu einem breiten Lachen mutiert ;-)
· 14:00 Uhr, ich habe meine gute Laune endgültig wieder, merke, dass sich Malle und die „restlichen“ 2500 km – Berg-Trainings-km auszahlen
· 18:00 Uhr, mir ist ein bissel langweilig, es radelt sich einfach – ich denke darüber nach, ob ich nicht doch besser in Gruppe zwei gefahren wäre. Das Feld ist in die Länge gezogen, permanente Tempowechsel aufgrund mangelnder Kontinuität beim Pedalieren, ich realisiere, dass wir bei diesem „Speed“ den Zeitplan vergessen können … werde ninglisch
· Ca. 19:00 Uhr, aufgrund der vom Hochwasser verunstalteten Straßen werden wir umgeleitet und verfahren uns … das nervt, ist aber im Nachhinein ok, Hauptsache wir rollen ;-)
· 22:45 Uhr, es geht mit Volldampf – unter Polizeischutz – durch Potsdam, einfach geil – ich bin wichtig, vor und hinter mir Blaulicht ;-)
· 23:30 Uhr, endlich Regen … ich hab´ mich schon gefragt, ob ich die Überschuhe seit 350 km umsonst trage ;-) und … die Temperaturen werden wieder einstellig – wie angenehm!
· 01:00 Uhr, jetzt scherbelt es auch in unserer Gruppe, ab und an fädelt jemand in den Vordermann … ich hör´ es fluchen – die Träumer stehen wieder … es geht weiter – nix schlimmes – Gott sei Dank!
· 02:30 Uhr, es regnet nicht mehr … die Temperaturen werden noch einstelliger … ich fahre seit mehreren Stunden vorn, hoffe, dass mich niemand „auffädelt“
· 03:00 Uhr, ich lebe noch – in nassen Klamotten – leicht angefroren … doch plötzlich, hellwach, am Straßenrand etwas, was aussieht wie ein Radfahrer der winkt … ist es jetzt soweit? Halluziniere ich ? Nein, es ist mein späterer Wegbegleiter Micha
· 03:10 Uhr, was ist jetzt? Eine Tankstelle, wollen wir etwa tanken? … Nee, pinkeln und Umziehpause
· 04:00 Uhr, ich bin trocken, habe mich neben einer Tanksäule komplett ausgezogen (alles gewechselt, inkl. Schuhe) … es blitzt – irgendjemand hat ein Foto gemacht – ich barhäutig neben der E10-Säule – na warte, wenn ich den erwische ;-)
· 06:00 Uhr, mein Neukumpel Micha erzählt von seinem Erlebnisritt in Gruppe zwei … dabei erfahre ich ganz nebenbei, dass er Arzt ist und mehrere Stürze erstbehandeln musste. Er hat dann irgendwann, zwischen behandeln und nachfahren, die FichKona-Lust verloren und wollte aussteigen.
Am Straßenrand wartend entschied er sich in Gruppe drei weiterzufahren … um schlussendlich in meine Hände zu fallen ;-)
· 08:00 Uhr, Micha weiß jetzt jede Menge über mein Leben und ich, dass es clever war in Gruppe drei zu bleiben. Er erzählt von der Nervosität im Feld und den Stürzen. Schlimmes Zeug dabei, für einige war nicht am Leuchtturm sondern in der Klinik Finale L
· 08:30 Uhr, ich werfe einen Blick auf mein Nothandy … Anruf in Abwesenheit – eine Ärztin des Herzzentrums der Uniklinik Dresden (nebenbei seit 27 Jahren in der Funktion meines weiblichen Kindes) … ich rufe zurück und erkläre kurz unsere Verspätung ;-)
Ach so … hab´ ich vergessen zu erzählen, also … mein Kind und ihr Überlebenspartner (ebenfalls Medizinmann) warten am Kap – in medizinischer VorSorge auf ihren alternden Radvater
· Ab jetzt passiert nix dramatisches … irgendwann geht´s über den Rügendamm auf die Insel
· 10:00 Uhr, wir sind immernoch nicht da L … was ist los? Man, hab doch nicht den ganzen Tag Zeit … ich will ein Leuchtturmbier (12°C … also nicht das Bier, die Außentemperatur;)
· 11:00 Uhr, Micha ist an meiner Seite – wir wollen zusammen den Leuchtturm abklatschen
· Noch später, drei Kilometer schlimmstes Kopfsteinpflaster – jetzt bin ich sowas von munter (und grad wollt ich nochmal einen Activator [koffeinhaltiges Zeug] vernichten;)
· Ganz spät, der Turm ist in Sichtweite … wo ist Micha? Ok, hinter mit J
· Der Turm naht … meine wieder sehr munteren Augen scannen das Turmareal nach dem Kind … und, es winkt … hört kurz auf mit Winken, winkt wieder … es macht einen leicht verunsicherten Eindruck
· Ich fahre mit Micha abklatschend durch´ s Ziel. Was jetzt kommt gibt es in keinem Sowjetfilm – mein Kind begrüßt meinen Wegbegleiter förmlich, respektvoll distanziert mit den Worten: Hallo Herr OA Dr. …
… ich hatte doch tatsächlich ihren großen Chef im Schlepptau, eine absolute Koryphäe im Bereich der Herzchirurgie … ·
Nach einer kurzen Fachsimpelei war das Eis gebrochen und es gab endlich das wohlverdiente FichKona-Leuchtturmbier ;-))) … alle waren happy, meiner neuer „Kumpel“, mein Kind, mein Möchtegernschwiegersohn und natürlich ganz sehr ICH!
Ja, so oder so ähnlich habe ich die Stunden der Wickelei empfunden … im Gespräch mit Micha konnte ich mir nicht vorstellen, wie man/N sich je ein zweites Mal „Dazu“ motivieren könnte ;-)
Einmal an seine Grenzen gehen, okay, ein bissel drüber … somit Selbige neu definieren … aber WARUM ein zweites Mal?
Nee, never! Micha meinte nur … „mit einem zeitlichen Abstand denkst und redest du anders – ES muss noch (nach)wirken“ ;)
Tja, und das tut es zurzeit … hab´ nochmal stolze 2000 Erzgebirgs-Kamm-Kilometer draufgelegt (einfach geil zwischen Marxnischel, Lesná-Baude, Abbruch und Schornsteinfeger Trainingskilometer im runden Tritt zu versenken)
Oft versuche ich auf dem Rad – natürlich Fichkona-trikoniert – ein bissel vom Wahnsinnsritt mental nachzugenießen … aber, ich habe Mühe Fickonaerlebtes in Bildern zu fassen und/ oder chronologisch einzuordnen …
Weil, so glaube ich , ich beim Trip zu sehr auf mich, auf meinen Körper fixiert war. Das Motto? Durchhalten und Ankommen.
Ich denke, das ist der Grund, warum der Körper – beim ersten Mal – das Bewusstsein um viele geile Eindrücke „bescheißt“ … die emotionale Wahrnehmung flöten geht …vom Ratio des „Überlebenswillen“ gefressen wird L
Aber jetzt weiß ich, es gibt ihn … den Gral aus dem ich gern irgendwann schöpfen würde … FichKona – Bewusster Genuss in jedem Kilometer – unsere Berge ebenwerdend erleben, Landschaft bis zum flachen Wasserland genießen und der Gruppe dabei ins Gesicht schauen …
Vielleicht kann ich ja meine Cardiotochter nebst Unfallchirurgischen Möchtegernschwiegersohn für einen neuerlichen Trip begeistern – wer weiß, beim Gedanke an das (zum zielführende) Möwengekreische …
Ich wünsch´ Dir (deinem Team mindestens genauso intensiv) eine erholsame Nachsaison und nochmals vielen Dank für eine absolut vollkommene Rundumbetreuung … technisch perfekt – menschlich groß … FICHKONA eben!
Mit rad-sportlichen Grüßen
Rainer Schweigler