Fichkona-Bericht (von Dr. Albrecht Schwarz aus Stuttgart)


  

16. FichKona – Der Wahnsinnsritt im Osten
        – 630-km-Ultra-Radmarathon – 29./30. Juni 2013

“Nicht weil die Dinge unerreichbar sind, wagen wir sie nicht – weil wir sie nicht wagen, bleiben sie unerreichbar.”

(Lucius Annaeus Seneca / 16. FichKona)

Einstieg:

KM 0, Samstag, 29. Juni 2013, 10:00, Start auf dem Fichtelberg (1215 m ü. NN) im Erzgebirge (Sachsen), direkt an tschechischer Grenze. Aus Stuttgart als Fichkona-Newbies Armin, Markus und ich im Sattel, im insgesamt 171 starken Fahrerfeld, (später aufgeteilt in vier Geschwindigkeitsgruppen).

Tortur & Tortour:

KM 215, 18:50, meine „Elendsphase“: mittlerweile die (Hochwasser-)Elbe in der Lutherstadt Wittenberg überquert: circa ein Drittel der Strecke absolviert, seit knapp zwei Stunden im Regen, wassergetränkte Schuhe und durchnässte Hose, trotz „bester“ Regen-, Kälte- und Windschutzkleidung. Die nächsten 50 km bis Neuseddin verlaufen topologisch nahezu schnurgerade; allein die ersten 11 km von Wittenberg nach Kropstädt keinerlei bemerkbare Straßenkrümmung, der Lenker könnte fest­gezurrt werden ... Keine Frage: der erste mentale Tiefpunkt (oder –tal?) bahnt sich an. Zumal beim zurückliegenden 2. Verpflegungsposten (VP) in Eisenhammer (KM 188) in einem Anfall von Schwäche eindeutig viel zu viel des verführerischen Cola konsumiert wurde, was sich jetzt in vollem Unterbauch und sonstiger, körperlichen Instabilitäten rächt. Noch knapp zwei, aber elendige lange Stunden bis zum nächsten Halt in Michendorf. Die schweren, dunklen Gewitterwolken sorgen zusätzlich noch für eine „verfrüht“ einsetzende Dämmerung. Fast niemand konnte bis jetzt seine (noch im Bekleidungssack deponierte) Radbeleuchtung in Betrieb nehmen. Ein Polizeimotorrad kommt uns entgegen und sichert das „dunkle Peleton“ bis zum Etappenziel ab. Bei VP3 wird dann auf Eile gedrängt, wir sollen und wollen gemeinsam mit der vor uns liegenden Gruppe Potsdam polizeieskortiert durchqueren. Macht Sinn, zumal der matschige Parkplatz, Pfützen und Enge sowieso nicht „zum längeren“ Verweilen einladen. Schnell, schnell: die Montage der Radlampen wird auf einen kurzen Zusatz-Stop am Ortsausgang Potsdam verschoben. Die Potsdam-Durchfahrt (KM 285, 22:05) in geschlossener Gruppe im „Begleit-Blaulicht“ sorgt für eine schöne, willkommene mentale Ablenkung. Die Landeshaupt­stadt macht einen umtriebigen, aber relaxten Eindruck. Junge Konzertbesucher versuchen trotz Polizei mitten durchs enge Fahrerfeld die mehrspurigen Straßen zu durchqueren. Aber höchste Zeit nun für das Anbringen der Radbeleuchtung. Der technische Kurzstop wird zum Kleidungstausch genutzt, zumindest der Oberkörper ist jetzt wieder trocken und etwas wärmer. Aber die „Hosensattelsitz-Dämpfung“ bleibt wassergetränkt und die neuen, trockenen Socken sind nach 5 min. wieder genauso naß und schlotterkalt. Hatte meine einfachen Radschuhe gewählt um ausreichend Platz im Zehenraum zu haben, was auch der Fall war, allerdings mit dem Nachteil, dass dieses „Billigmaterial“ sich vollsaugt wie ein Schwamm: die schrumpeligen Füße stehen gefühlt in jeweils einem halben Liter, kaltem Wasser.

Wir haben den Breitengrad unserer Hauptstadt Berlins erreicht, die vollständige Dunkelheit ist da und kurz vor Falkensee soll endlich „Halbzeit“ sein (KM 310, 23:38). Die Nacht verschluckt uns und das größte Übel, eine hartnäckige Müdigkeit ergreift nach und nach Besitz all unserer Sinne. Die nächsten zwei Stunden, ab KM 305 bis zur nächsten Rast in Gransee sind die schlimmsten. Die Zeit scheint nicht zu vergehen, Kälte, Nässe, und ein dauerfröstelnder Körper spült die Tretarbeit monoton herunter, der Geist such nach Ablenkung, mit wenig Erfolg, die Müdigkeit ist stärker und Halbträume „eines trockenen Bettes, wolliger Wärme“ versuchen sich in der Psyche Geltung zu verschaffen. Ja, die Vorboten des gefährlichen Sekundenschlafes sind nun endgültig da.

Endlich, endlich, gegen 2:30 Sonntag früh erreichen wir Gransee, unseren vierten Verpflegungsposten, positioniert in einer Tankstelle am Ortseingang. Das wichtigste zuerst: zwei kleine Dosen des österreichischen, koffein- und taurinhaltigen Energy-Drinks sollten für die kommende „Tiefschlafphase“ rettende „Flügel“ verleihen, was auch dann auch später gut zwei Stunden funktioniert. Wir stehen am Rand der Tankstelle, fröstelnde, müde Körper auf der Suche nach einer (nicht vorhandenen) Sitzgelegenheit. Ach was wären ein paar Minuten in einem geheizten, trockenen, windgeschützten Raum doch schön um diese elende Kälte aus den Gliedern zu treiben. In einer lauen Sommernacht könnte man sich auch ein paar Minuten auf dem grünen Rasen ausruhen, ach, …

Der Becher warme Wurstsuppe tut gut, die leicht aufputschende Wirkung des Soft­drinks stellt sich ein so dass nun die nächsten 60 km deutlich besser wahrgenommen werden. Der „Kopf“ ist endlich wieder positiv, - und sofort werden die vielen Facetten unserer „Radfernfahrt“ viel optimistischer, bejahender empfunden. Die Gedanken schweifen zurück an den Anfang …

Prolog:

Vor drei Jahren ein einfaches Rennrad der „Stahlkategorie“ (1100 €) gekauft, die letzten beiden Jahre jeweils knapp 1500 km damit gefahren, da letztjähriger Schwerpunkt auf Lauf(ultra)marathons lag. Im Herbst 2012 dann der FichKona-Vorschlag von Armin sowie am 23. Dez. `12 (als Weihanchtsgeschenk?) die Zusage für uns Drei aus Stuttgart. Weder Markus noch ich hatten vorher jemals von dieser Tortour gehört, aber warum nicht? Als FichKona-Neulinge wollten wir uns zumindest körperlich nichts vorwerfen lassen, deshalb im Mittel 5000 bis 6000 km als Vorbereitung im ersten Halbjahr 2013 absolviert. Begonnen hatten wir bereits bei „Eisgraden“ im Januar mit kleineren Ausfahrten.

Anreise aus dem Schwabenland dann einen Tag vor dem Start mit umgehender Besichtigung des Fichtelberges bei (noch) schönem Wetter sowie Bezug unserer „Cafe-Pension“ im Weißflog-Ort Oberwiesenthal. Aber die Wetterprognosen versprachen nichts Gutes: an diesem Wochenende im „Hochsommer“ sollten sich nochmals alle schlechten Witterungsbedingungen des 2013er Winter-Frühling-Sommer kumulieren: Kälte, Nässe, Regen, Wind wie wir sie Woche für Woche bereits während unseres Vorbereitungsprogrammes hattenL Das volle Materialprogramm hatten wir deshalb eingepackt; perfekt „getestet“ in stundenlangen „Winterfahrten“ bei Minusgraden, selbst noch im April.

 

Das erste Drittel bei akzeptablen Bedingungen …

KM 0, Samstag, 10:00: das Thermometer zeigt 8,5 °C am Start auf dem Fichtelberg, der in triefendem Nebel und Tröpfchenregen gehüllt ist. Gut eingepackt will jeder möglichst schnell den kalten Aufwinden des Erzgebirggipfels entfliehen: in den Tälern Richtung Chemitz warten wärme Lufttemperaturen sowie weniger kühlenden Wind, was dann auch rasch der Fall ist. Unser Dreierteam verteilt sich im Feld, die berüchtigte Bergabfahrt stellt sich als sehr gemäßigtes und diszipliniertes Fahren ein. Ein Sturz und/oder Panne gleich zu Beginn wäre wirklich zu Beginn ein herber Tiefschlag …

Gleich zu Anfang ein kurzer, ad-hoc Abstecher ins Nachbarland: ca. 4 km auf tschechischem Gebiet, parallel zu Oberwiesental („ohne Paß, ohne Absprache „mit Prag“☺) wurden kurzfristig gewählt, - warum eigentlich weiß ich nicht mehr, obwohl das Fahrer-Briefing doch gerade kurz vorher war☺  

KM 28 (10:58) – Annaberg-Buchholz: knapp eine Stunde gefahren, bereits 700 hm ging es wellig abwärts auf sehr guten Straßen. In Herold (KM 43, 11:23) dann eine erste P-Pause „in vollem Radverband“. Warme Luft und Sonnenstrahlen verleiten die meisten zu einer ersten Reduktion der „obersten Kleidungsschicht“.

KM 50 (11:46) – Amtsberg: wir passieren das ca. 5 km entfernte  Zschopau, im engen Tal der Zwonitz geht es an der Brauerei Einsiedel vorbei Richtung Chemnitz. Kurz nach Einsiedeln (KM 57, 11:58) dann das Einsammeln und Verdichten des gesamten Fahrerfeldes für die nachfolgende, geschlossene Chemnitz-Passage, - unter anderem war das Stadion des Drittligisten Chemnitzer FC zu bestaunen.

KM 65 (12:30), wir passieren die Karl-Marx-Büste in Chemnitz, und das Thermometer zeigt nun stolze 18,6 °C an, was sich aber leider im nachhinein als der „sommerliche Temperaturhöhepunkt“ des gesamten FichKona-Wochenende erweisen sollte☺ Die Durchfahrten der beiden Großstädte Chemnitz und Potsdam sind verkehrstechnisch die kritischen Tourphasen, auch muß das Fahrerfeld eng zusammen gehalten werden, was durch die vielen Ampel-Kreuzungen nicht gerade einfach war/ist. Nachdem Chemnitz hinter uns liegt wird vorne das Tempo bewußt freigegeben um das Feld wieder zu entzerren. Ansonsten würde eine „Massenankunft“ am ersten Verpflegungsposten bei KM 88 zu unnötigem logistischen Auswand als auch langer Wartezeiten führen. Mit Markus bin ich vorne wo schnell die Schlagzahl auf ca 45 km/h erhöht wird; zumindest ich widerstehe der Versuchung und dem „Temporausch“ und lasse mich zurückfallen.

Rast I (KM 92, 13:20) bei Beedeln/Bernsdorf: alle vier Gruppen sind noch vermischt; Flaschen auffüllen, Müsliriegel & Bananen in die Trikottaschen sowie nebenher Nudeln & Wurstbrote „reingeschoben“; im Fünfminutentakt brechend die einzelnen Geschwindigkeitsgruppen auf.

KM 98 (14:07) – Rochlitz, der nächst größeren Stadt, überqueren wir die Zwickauer Mulde; die Witterungsbedingungen sind nun relativ gut, trockener Belag sowie wärmende Strahlen von oben, zumindest immer wenn die Sonne hinter den Wolken hervorlugt☺

KM 130 (15:12) – Grimma: es geht weiter entlang der Mulde, einem Nebenfluß der Elbe; Anfang Juni war Grimma eines der Zentren der Hochwasser-Katastrophe, sogar die Evakuierung des Stadtzentrum mußte damals angeordnet werden.

KM 150 (16:08) – Wurzen, etwa 30 km östlich von Leipzig, die stadtbild­bestimmenden, riesigen Mühlengebäude schimmern im Sonnenlicht, zuvor gab es beim Überqueren der Mulde, auf der zweispurigen Muldebrücke Wurzen ein schwerer Sturz in unserer Gruppe: vermutlich aufgrund Fahrfehler verhaken sich zwei Lenker, trotz breiter Straße, weitem Fahrerfeld und guter Sicht: unsere Gruppe sichert schnell die Unfallstelle, leistet erste Hilfe und regelt den nachfolgenden Autoverkehr. Ein Fahrer wird ins lokale KKH verfrachtet, der andere versucht im Begleitfahrzeug sich bis zum nächsten VP „wieder zu erholen“.

Über die Tour hinweg waren es bei mir zwei brenzlige Situationen, bedingt durch abruptes Abbremsen meiner Vorderleute, jeweils knapp aber gerade noch glücklich abfangen können. Die Erfahrung mitgenommen, dass manche Mitfahrer entweder gruppentaktische Zeichen (noch) nicht kennen oder in der Erschöpfung wohl vergessen? In beiden Auffahrsituationen ging es wohl um geplante Haltestops am rechten Fahrbahnrand, ohne allerdings dies den Hinterleuten überhaupt anzudeuten, - geht nicht!

KM 180 (17:07) – Bad Düben, in Nordsachsen, nachdem wir seit Grimma ca. 50 km entlang der Mulde, und damit im Bereich des Juni-Hochwassers gefahren sind, wechseln wir von Bundesland Sachsen nach Sachsen-Anhalt, und es geht nun zunächst gefühlt 20 km durch „endlose“ Wälder Richtung Elbtal.

Rast II (KM 188, 17:25) bei Eisenhammer: eine kleine Lichtung inmitten des riesigen Waldgebietes, an einer Kreuzung gelegen, wird als zweiter Verpflegungspunkt genutzt. Die Stimmung ist (noch) prächtig, aber es fallen bereits die ersten Tropfen. In einem kleinen Wanderunterstand suchen ein paar von uns noch Regenschutz, wohl wissend das unsere (noch) trockenen Bekleidung sowieso gleich Makulatur sein wird☺

 

Das zweite Drittel als „Tiefpunkt“ … wie eingangs geschildert …

Diesen „Tortouren-Abschnitt“ hatte ich als meine „Elendsphase“ eingangs bereits angedeutet, hier noch ein paar „faktische“ Ergänzungen, zumal diese Tiefphase in Zeitpunkt und Dauer ja rein subjektiv waren☺

KM 213 (18:51) – Elbe-Überquerung in der Lutherstadt Wittenberg, knapp 100 km südwestlich von Berlin. Kurz darauf sind wir im 1157 gegründeten Bundesland Brandenburg und es folgen ausgedehnte, knapp 70 km bis zum nächsten VP.

Rast III (KM 279, 21:35) bei Michendorf, wiederum gut „versteckt im Wald“, im Hinterland des Templiner Sees.

KM 285 (22:05) – Zentrum der Landeshauptstadt Potsdam, in Groß-Glienicke (KM 297) besuchen wir unfreiwillig ein Wohngebiet, anstatt den Kreisverkehr nach der 2. Ausfahrt zu verlassen („wie auch das Navi unseres vorne fahrenden Kapitäns angezeigt hatte“) heizen wir auf der B2 weiter;, der Versuch unseren Fahrfehler kürzest möglichst zu korrigieren führt uns durch elende Pflasterwege in die Dunkelheit eines Wohngebietes; - aber ad-hoc Abstecher dieser Art sind wohl Usus und fester Bestandteil des FichKona☺

KM 310 (23:38) – Falkensee, nach Velten überqueren wir die A10. Der Hinweis auf „Halbzeit“ sollte motivieren, hat aber eher eine demotivierende Seite in meinem Zustand: der Strom „sinnfragender Schweinehunde“ scheint nicht abzureißen☺ Knapp drei Stunden monoton empfundenem Radeln sowie dem permanenten Kampf gegen die latente „Schwerkraft der Augenlider“ folgen bis zur …

Rast IV (KM 371, So., 02:30) bei Gransee Tankstelle: unser Trio reduziert sich; das lädierte Knie von Armin läßt eine Weiterfahrt nicht zu, er wechselt ins Begleitfahrzeug.

KM 394 (03:50) – Fürstenberg/Havel, langsam verlassen wir Brandenburg und wechseln in unser viertes (und letztes) Bundesland Mecklenburg/Vorpommern.

KM 415 (04:44) – Neustrelitz. Die Wirkung des Red-Bull hält ungefähr zwei Stunden bis Groß-Nemerow (KM 430). Mein Navi (ein Garmin Oregon 450) vermeldet einen lokalen Sonnenaufgang für 04:43 (motivierend!), doch bereits ca. eine Stunde früher hier im Norden zeigt sich schon ein dünner, heller Dämmerungsstreifen am Himmel (noch motivierender!!).

 

Das finale Drittel als „Höhepunkt“ …

KM 442 (05:46) – Neubrandenburg, 135 km nördlich von Berlin, inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte. Die Durchfahrt der knapp 70 T Einwohner zählenden Stadt erweist sich als „völlig unproblematisch“: ausnahmslos autofreie Straßen und Kreuzungen um diese Zeit des Sonntagmorgen, was will man mehr?☺ Nach einer kurzen P-Pause am Ortsausgang erreichen wir 15 km weiter …

Rast V (KM 456, So., 06:30) kurz vor Altentreptow (Tankstelle): ein Wechsel in frische, trockene Oberbekleidung sowie ein heißer Pulverkaffee hellen die Stimmung weiter auf; anschließend geht es in der Altstadt Altentreptow via alte, grobe Pflaster­steinstraßen Richtung Loickenzin, Pribsleben, Tützpatz, Türpin, Gehmkow usw. usw. Unsere Mitfahrer, die von VP4 nach VP5 im Begleitfahrzeug versucht hatten sich wieder etwas zu erholen sind nun erneut aufs Rad gestiegen. Allerdings zeichnen sich jetzt doch größere Probleme bei mehreren Mitfahrern ab, so dass durch deutliche Temporeduzierung (auf 19, 20 km/h) versucht wird das komplette Feld möglichst dicht durch den zunehmenden Gegenwind zu führen. Die relativ kurze Etappe von 60 km dehnt sich „endlos“, obwohl das Auge nahezu pausenlos entlang schönster Getreidefelder, Blumenwiesen und schmucker, kleiner Dörfer „abgelenkt“ wird. Es wird nun allen klar, dass unserer bisheriger guter 27-km/h-Schnitt wohl nicht zu halten ist, insbesondere es mit dem FichKona-Rahmenzeitplan knapp werden würde.

KM 491 (08:34) – Hansestadt Demmin, Überquerung der Peene, mein Biorhythmus hat sich mittlerweile voll auf den Tag eingestellt; alle Ermüdungsanzeichen sind nun verschwunden, ein gutes Gefühl kommt auf☺ Mehr oder weniger schleppen wir unsere Gruppe zu …

Rast VI (KM 517, 09:45) bei Grimmen (Tankstelle): relativ kurzer Halt; Armin quält sich und vor allem sein Knie nicht mehr weiter, steigt vernünftigerweise aus und läßt endgültig sein Rad „aufsatteln“. Hut ab, ca zwei Drittel des FichKona's abgeradelt, trotz Kreuzband sowie einiger Handicaps im Vorfeld, als auch vermutlich der erste FichKona-Teilnehmer überhaupt, welcher vorher noch nie „mehr als 200 km auf dem Rennrad saß“☺

Der VP6 wird auch von weiteren Fahrern noch zum Ausstieg genutzt, so dass sich unsere Gruppe anschließend mit höherem Tempo (auf der B194) die letzten 25 Festlandkilometer abspulen kann, es naht …

KM 545 (11:18) – Stralsund sowie die Inselüberfahrt auf dem alten Rügendamm. Der Sonntagmorgen-KFZ-Urlaubs-Verkehr (auf der B96) ist bereits, und wie erwartet, ziemlich stark. Allerdings erreichen wir relativ schnell unsere …

Finale Rast VII (KM 562, 11:50) bei Samtens (Rügen) am Bahnhof gelegen. Neben dem üblichen VP-Prozedere (Nahrungs- & Flüssigkeitsschnellaufnahme, Flaschen nachfüllen, Riegel bunkern, etc) wird abgeschätzt, ob die Restzeit bis zum Kap noch reichen könnte bzw. welche „Gruppenstrategie“ gefahren werden soll. Schaffen wir es noch bis zum „Leuchtturm“? Die „Badefahrt“ ohne Kap Arkona, hm …

Der Himmel ist zwar stark bewölkt, und es wird auch von weiterem Regen im Feld gemunkelt, dennoch verleitet mich „die Wärme“ auf „kurz“ umzusteigen („was am Ende gut ausgehen sollte“). Die Bekleidungsthematik (eher –problematik) im Kontext von Regen und Kälte erscheint „komisch“ für „Außenstehende“ (beispielsweise waren alle entgegenkommenden Radfahrer an diesem Sonntagmorgen in „Minimal-Kurz-Kleidung“, ganz im Gegensatz zu uns in unserem „Polar-Outfit“). Die stundenlange Ausdauerleistung führt jedoch dazu, dass der Körper sich weitestgehend auf absolut notwendige Grundfunktionen zurückzieht, was den unschönen Nebeneffekt einer schleichenden Auskühlung bei diesen Witterungsbedingungen mit sich bringt.

Beispielsweise konnte ich trotz einer „Dreier-Zwiebelschicht“, - langärmliges Funkt­ions-Isolier-Shirt (Nike Pro Combat Hyperwarm Dri-FIT, Werbung: „max warmth for the coldest conditions“), lange Softshell-Isolier-Jacke (GORE Windstopper) plus guter Windjacke -, die Kälte nicht mehr vertreiben.

Kurz nach High-Noon nehmen wir die finale Etappe in Angriff. Das Ziel nun in Reichweite scheint zu (weiteren?) euphorisierenden Adrenalinschüben zu führen. Unsere beiden Kapitäne geben das Feld frei, das Tempo erhöht sich auf weit über 30 km/h in meinem Fahrerabschnitt. Schnell erreichen wir Sagard (KM 589, 13:12) mit dem oft zitierten, „berüchtigten“ Kopfsteinpflaster-Abschnitt. Jedoch erweist sich dieses glücklicherweise von „kleinerer Granularität“, so dass am rechten Straßenrand fahrend dieses relativ zügig passiert werden kann.

Das größere Problem ist allerdings jetzt ein heftiger, starker Gegenwind, der noch bis KM 609 (Altenkirchen) uns zu zermürben versucht. Doch der Wille ist deutlich stärker und die finalen neun Kilometer läuten bei nun leichtem Seitenwind bereits die emotionale „End- und Hochphase“ ein. Nochmals Kopfsteinpflaster in Putgarden (KM 617, 14:13) bevor der 35-m-hohe, der größere der beiden Kap-Leuchttürme, unser Ziel nun endlich auch sichtbar macht. Bereits im „Ausroll-Modus“ wird der letzte Kilometer genossen; Sommer-Landschaft, jubelnde Zuschauer und Zielbereich auf dem 45 m hohen Steilküstenabschnitt werden aufgesogen. Mit einem unglaub­lichen Euphoriegefühl, als auch, ich glaube ein paar Tränchen in den Augenwinkeln, wird vom Rennrad glücklich „abgesattel“☺

KM 618 (14:16) – Ziel I - Kap Arkona (Rügen): durch Umleitungen und Umwege sind in unser Gruppe 618 km zustande gekommen, der Tacho zeigt eine Fahrtzeit von 23:49 h an, was einem Tempomittel von 25,7 km/h entspricht. Wir haben das FichKona-Ziel von weniger als 24 h Sattelzeit erreicht; das Tempo ist dem schlechten Wetter, dem zusätzlichen „Kleidungsgewicht“ sowie speziell bei uns Etappe 6 & 7 geschuldet (von unserer Gruppe scheint nur knapp ein Drittel bis zum Kap vorgefahren zu sein, die große Mehrheit ist bereits in Juliusruh „abgebogen“, falls nicht bereits früher ausgestiegen).

Wir genehmigen uns ein kühles Weizen, schießen obligatorische „Ziel-Fotos“ und genießen 30 Minuten „Arkona-Feeling“. Der Drang sitzen zu bleiben, ein zweites, drittes Bier die Kehle runter rinnen zu lassen ist sehr stark und scheint sich schnell unseres Körpers bemächtigen zu wollen, aber wir haben ja leider noch eine abschließende 12-km-Rückfahrt zu unserem „Basecamp“ vor uns.

Epilog

KM 630 (15:37) – Ziel II – Campingplatz Juliusruh (Rügen): also noch deutlich vor 17:00, dem finalen Zeitpunkt der Fahrrad-LKW-Verladung, treffen wir im Camp ein. Nach dem wir „uns sortiert haben“ können wir uns der Kompensation von Kohlehydraten und Flüssigkeit zu wenden. Drei Hautmahlzeiten plus ein paar Wurstbrötchen sind kein Problem: der großen Gulasch-Nudel-Schüssel folgen ein kolossaler Teller Öl-Knoblauch-Spaghetti sowie eine XL-Käse-Pizza im gegenüber­liegenden Italiener „San Marco“ (im Aquamaris). Begleitet von kühlem Weizen bzw. Lager, zumindest solange noch „Platz“ ist☺

Was für ein Event, wahrlich Wahnsinn!!! Ohne technische Pannen und Stürze unsererseits. Durch das ungewohnte, lange Halten des Rennradlenkers hatte ich am Ende ein Taubheitsgefühl in den Händen sowie kribbelnde Finger, was noch zwei Wochen nachgeklungen ist.

Dem Dank an Veranstalter, Organisatoren, Kapitäne, Köche, Begleitfahrzeuge, etc, möchte ich mich selbstverständlich anschließen.

von Albrecht Schwarz (Stuttgart)

[Fassung vom 16.07.2013]