Die vielseitige 15. Fichkona von Udo Schmidt aus Petersberg


Sonnabend früh 7 Uhr am 30.6.2012 Col de Fichtel, ein kräftiges warmes Sommergewitter zieht von Südwest über den Berg, also entspannte Luft und keine schlechten Aussichten für den kommenden Tag, der Wind im Groben von so von links hinten. Am Abend vorher hatte ich mir noch einen Berg Eiweiß (Chicken mit Fisch gefüllt) auf der tschechischen Seite in Wiesenthal gegönnt, bevor ich mir Abends zur Beruhigung noch ein letztes sächsisches Bier in Gesellschaft der ersten Fichkonisten auf Sachsens Höchstem einverleibte.
Dann gegen acht Uhr Frühstück im “Guck” des Fichtelberghauses sitzt mir einer dieser Malle-Rennfahrer gegenüber, der die Gewitteraussichten nicht prickelnd findet und die persönliche Startabsage diskutiert. Dann wird es langsam voll auf dem Berg und nach entspanntem Gewusel ertönt bei sonnigem warmen Wetter 10 Uhr endlich die große Friedensglocke zum Start.
Es rollt perfekt, aber es platzt und knallt vor und hinter mir ordentlich auf den ersten Kilometern, ansonsten geht es zügig weiter, im geschlossenen Feld (so wollte es die Chemnitzer Polizei) bis zur ersten Verpflegung, wo die Gruppen getrennt werden und somit schon einige Fahrer hinten ziemlich erschöpft sind. Als Wiederholungstäter mit weniger Rennradkilometern in den Beinen als im Jahr zuvor, bin ich in der großen Gruppe 3 mit den vielen gut gelaunten entspannten Fahrern geblieben. In jedem Pulk fahren drei Capitanos. Während der folgenden Hitzeschlacht nachmittags im sächsischen Flachland verlässt uns der erste und wird von seiner Frau abgeholt, der zweite leidet an Magenproblemen. Der Chef-Capitano im sonnengelben Trikot allerdings beherrscht die Truppe perfekt und organisiert die von mir erbotene Pinkelpause über den Kontakt zu den Begleitfahrzeugen umgehend und sofort stürzt der halbe Pulk in die Büsche. Clemens, drahtig und durchgestylt am Tag vor seiner Pensionierung, dehydriert extrem und steigt in Eisenhammer in den Bus. Er hatte im Wochenabstand die Vätternrunde, Trondheim-Oslo und jetzt die Fichkona auf seinem Plan.
Mit konzentrierter salziger Brühe komme ich mit meinem Wasserhaushalt gut zurecht und nur bei den kurzen Stopps brütet die Hitze, also blos schnell wieder Fahrtwind spüren. Jedenfalls, die Sonne scheint und es rollt phantastisch durch Dübener Heide und Fläming mit Beelitz zur Pause nach Michendorf, wo wir ahnen, dass der Abend und die Nacht sehr angenehm werden könnten.
Die Temperaturen werden langsam erträglicher. Durch die Stadt heize ich noch vorn und gönne mir in die erste Reihe die eskortierte Stadtdurchfahrt mit den vielen Menschen, wie ein wunderschönes langgezogenes Happening. Dann geht es stiller in die Nacht. Bei immer noch 27 ºC in schwüler Luft dauert es ewig, bis die Straßenschilder Richtung Berlin langsam weniger werden und dann, der erste Wegweiser STRALSUND. Die samstagabendlichen Grillfeste in den Städtchen und Dörfern der Mark Brandenburg werden weniger. Gegen 11 ziehen Wolken auf und es wetterleuchtet sehr heftig zu beiden Seiten der Strecke, aber nur wenige Blitze in unserer Nähe und noch alles trocken, haben wir Glück ? Dann 13 km vor der Nachtfein-Tankstellenpause fängt es richtig an zu regnen, ein kurzer Stop auf finsterer Strasse und es wird entschieden nicht im Dunkeln in den Säcken zu wühlen, sondern ohne Regenschutz (wer denn nicht doch einen im Trikot hat) bis zur Tanke weiter zu fahren. Nach etwa 20 Minuten kommt die Gruppe 3 völlig durchnässt zu den rettenden Tankstellendächern. Zum Glück habe ich ein zweites paar Schuhe nebst Neopren-Überschuhen und Socken zum wechseln. Lars Strehle gab mir im letzten Jahr diesen “überlebenswichtigen” Tip. Nach einer verlängerten Nachtpause starten wir dann mehr oder weniger trocken in lauer Luft zügig und gut gelaunt so für etwa zweieinhalb Stunden Richtung Altentreptow. Nur die Straßen spritzen, Haben wir also unsere Gewitternacht überstanden.. Vor Neubrandenburg winkt ein großes Laken “NB grüßt Fichkona”. Und dann, im Büchsenlicht ein orangefarbener Streifen am Horizont läßt den Sonnenaufgang ahnen zugleich aber verdichten sich finstere Wolken zu Einheitsgrau. Angekommen am Rastparkplatz Klatzow mit Pavillon über den Essenstischen, nieselt es schon, daraus wird schnell richtiger Regen und ein nahezu apokalyptisches Unwetter zieht auf. Achtzig müde Krieger drängen sich unter den Pavillon. Wer spät kommt und außen steht hat Pech, er muss später das Dach festhalten. Der Rest sucht aufgeklappte Hecktüren oder einen der wenigen Bäume als Schutz, doch der ist nicht wirklich einer, stoisch stehen sie da. Ein heftiger Sturm kommt auf und duscht uns von Südwesten her. Wegen des Regens schon bei der Ankunft gibt es keinen Zugriff auf die Kleidersäcke. Die 80 Mann stehen wie die Heringe dicht gedrängt, müde frierend viele schweigend. Es ist unmöglich weiter zu fahren. Wir stehen mindestens 20 Minuten,regungslos zitternd, was für ein Bild. Mein Nachbar-durch-die-Nacht, ein Jahr zuvor, (der das Laken vor Neubrandenburg aufgestellt hatte, erzählte mir nach der Tour folgendes:

“Ich hatte am Sonntag Frühdienst auf unserer Intensivstation und es wurde von Euch berichtet ! Zum Dienst fahrende Schwestern haben Euch in Klatzow unter dem Pavillon stehen sehen und meinten, welche Verrückten fahren zu einer solchen Unzeit und diesem Wetter mit dem Rennrad durch Mecklenburg. Ich habe Euch natürlich auf's Schärfste verteidigt und mich als ebenso Verrückten geoutet.”

Im dichtesten Regen kommt ein Fahrzeug der 4. Gruppe, die sich clevererweise in eine Tankstelle geflüchtet haben, um Verpflegung zu deren vorgezogenen Ausweichrastplatz zu holen.
Als es dann für uns endlich besser wird, so etwa insgesamt nach einer Stunde, fahren wir sehr langsam noch im Nieselregen weiter, zu langsam, da ich, wie auch andere, noch eine Weile fürchterlich frieren. Ich fahre wieder viele km in der ersten Reihe, werde aber immer wieder vom Führungsfahrzeug ausgebremst, da viele weiter hinten nur sehr schwer überhaupt wieder in Gang kommen. Die Gruppe reisst sogar auseinander. Es gibt einfach jetzt zu viele und zu unterschiedliche Kräfte in der Gruppe und es ist die Zeit der großen Müdigkeit. Dann endlich, Rast vor Grimmen, freies Feld mit Tankstelle und Mc Donald, wo immer noch Stromausfall herrscht und somit alles geschlossen ist, muss ich mich geduckt hinter dem McDrive Schild notgedrungen sanitär entspannen.
Die 2. Gruppe hatte ebenfalls, wie die 4. Gruppe einiges Glück und erlebte hier vor uns das Gewitter geschützt durch die Tankstellendächer und die erste Gruppe fuhr so schnell dass sie fast trocken halb 7 am Kap ankam.
Aber was heisst hier trocken, die Gruppe drei trocknet im warmen Sommer-Rückenwind vor Stralsund. Vergessen die Nacht, die Stimmung der Gruppe ist wieder großartig, dann der Rügendamm im Sonnenlicht und die Tour ist gefühlt schon geschafft.
Langsam fährt der große Pulk mit weniger als 30 km/h aber gestärkt nach der letzten Pause über die Insel, der Verkehr ist heftig und wird noch einmal vorbei gelassen. Noch 10 km bis zu den Leuchttürmen, heftiger Westwind, jetzt noch, – gib alles ? – aber nein, bei diesem wunderbaren Ostseewetter genießen wir lieber die letzten Kilometer durch Putgarten bis zum Turm 12:05 Uhr Ankunft. Okay, viel zu lange, aber niemand kam durch Unwetter zu Schaden, einfach eine großartige Tour: Hitze, Kälte, Wärme, Rückenwind und jetzt ein Bismarck-Brötchen und zwei Hefeweizen (das erste kastriert), sind das beste Frühstück des Jahres.
Der Nachmittag ist perfekt zum Baden und der Abend auf dem Campingplatz ist lustig, mit vielen interessanten Typen und Geschichten. Fazit: Eine Genehmigung von der Familie holen und wiederkommen.