Was für ein Erlebnis! (von Hendrik Mewis aus Sukow bei Schwerin)


Vorbereitung
2011 beschlossen, tatsächlich den Loszuschlag erhalten, stehe ich vor der größten sportlichen Herausforderung in meinem Mittelalter. Raderfahrung auf dem Crossrad vorhanden, Strecken bis 200 km gelegentlich gefahren, Krafttraining, Intervalltraining auf dem Ergometer und Spinning im Sportstudio. Ich reise an mit lediglich 1000 km auf dem Rennrad und ohne Gruppenerfahrung. Berge haben wir im Großraum Schwerin nun auch nicht so richtig. Auf der Habenseite eigentlich nur gute Fitness, Willenskraft und der bewältigte Anstieg nach Femes auf Lanzarote mit 18% Steigung im Urlaub 2011.

Auf zum Fichtelberg!
Die Anreise an Vortag erweist sich als sehr angenehm. Im Hotel “Sachsenbaude”, an der Auffahrt zum Fichtelberg, stehen bereits Autos mit Rennmaschinen im Gepäck. Testfahrt nach „oben“. Mitfahrer auf der Terrasse des Fichtelberghauses kennen gelernt. Sehr gelöste Stimmung: („Wer rasiert, verliert!“). Abfahrt mit locker Tempo 60, Gulasch, Schwarzbier, Sauna, Bett.

Vor dem Start
6:00 Uhr klingelt der Wecker. Draußen gießt es aus Eimern. Ein Rennradfahrer mit riesigem Rucksack fährt am Hotel vorbei in Richtung Start. Woher kommst Du um diese Zeit, Kollege? Beim Frühstück erkennt man sich: „Gas geben!“ „Oh,oh,oh – das wird nass!“ „Bis nachher am Leuchtturm!“ u.s.w.

Es geht los
Die Sonne kommt raus. Andere Erstteilnehmer (wie ich) sind auch aufgeregt und unsicher, ob es klappt mit dem Durchhalten. Das Feld präsentiert sich bunt: Trikots künden von wahrem Heldentum auf dem Rad (Elbspitze u.s.w.), Eisenräder mit Körbchenpedalen, Hardtails mit Stablenker, Zeitfahrrahmen mit Rennlenker, viele „Breitreifen“ (25er). Etliche Teilnehmer mit sichtbar langer Radsporterfahrung. Ich starte vorerst in Gruppe 4, aus Respekt vor der Distanz.

Glocke, Startschuss und LOS! Endlich. Meine Bremsen quietschen, waren noch nie so beansprucht wie auf der ersten Abfahrt. Peng! In der zweiten Spitzkehre geht ein Reifen nebst Carbonfelge kurz vor mir in die ewigen Jagdgründe über. Der Fahrer ist nicht gestürzt. Starke Leistung. Viel Split auf der Fahrbahn, etliche Reifenpannen- und meine Kette fällt nach außen ab. Anhalten, auflegen und losbrettern. Wo sind die nur alle? Irgendwer ruft „Hey Fichkona!“. Ich trete wie verrückt, sehe aber keinen weiteren Fahrer vor mir. Bin ich zu langsam? Etliche Kilometer weiter werde ich vom Begleitfahrzeug der Gruppe 3 eingesammelt und dem Feld zugeführt, was längst abgebogen ist. Vielen Dank Leute! Verpflegungspunkt Nr.1. Mein allererstes Malzbier nach sicherlich 10 Jahren. Einfach nur köstlich. Bananen bunkern. Meine alten Kumpels vom Vorabend auf dem Fichtelberg empfehlen Gruppenwechsel nach vorn. Also Klamotten umladen. Nunmehr Gruppe 3. Es wird warm.

Meine Kette fällt zwei weitere Male runter, jeweils verbunden mit dem anschließenden Jagen meiner Gruppe. Ärgerlich, wenn man zu blöd ist zum Schalten. Beschluss: Die großen Anstiege sind vorbei, ab jetzt nur noch großes Blatt. Klappt sogar. Miese Kettenlinie. Egal. Die Temperatur liegt jetzt sicher über 30°C, gefühlt viel mehr. Am Versorgungspunkt 2 setzt die Anstrengung erste Teilnehmer außer Gefecht. Trotzdem gute Laune überall. Die Leute vom Versorgungsteam verstärken diese noch, einfach durch das was sie machen und wie sie es machen. Weiter geht’s. Nun setzt bei mir spätestens der Genuss dieser Fahrt ein, denn ich bin bereits weiter gefahren als je zuvor an einem Tag.

Großer Bahnhof am dritten Versorgungspunkt. Gruppe 3 und 4 vereinigen sich zur gemeinsamen Fahrt durch Potsdam. Ein Kollege und ich mit nahezu identischen Fahrmaschinen haben die große Ehre, das Feld von ca. 100 Fahrern durch die Stadt zu führen. Ein Wahnsinnserlebnis mit etwas Pipi in den Augen. Die Jungs auf den Polizeimotorrädern, die uns die Durchfahrt ohne Halt ermöglichen, haben sichtlich Spaß im Dienst. Schön, das Ihr dass macht und dürft. Danke Präsidium. Danke Stadtverwaltung.

Am Berliner Ring ein Flackern am Himmel in nördlicher Richtung. Es fängt an zu regnen. Es gießt. Wasserschlacht. Verschwimmende rote Punkte von Rücklichtern, Fontänen von Hinterreifen, blitzschnelles Ausweichen bei Tierkadavern auf der Straße. Niemand stürzt. Alle sind konzentriert, aber gelassen. Endlich Gransee, Tankstelle und Versorgungspunkt 4. Durch vollständigen Klamottenwechsel, Müdigkeit und Frieren kommt mir die „lange“ Pause genauso kurz vor wie alle anderen zuvor. Bei der Weiterfahrt macht sich neue Euphorie breit mit dem Motto: „Nu is auch egal!“ Es regnet prächtig.

Im Feld wird es seltsam: Ausreißversuche, irgendwer fährt im Windschatten des Führungsfahrzeuges, hier und da Genörgel- ich glaube, das ist der Schlafentzug. Es geht durch Neubrandenburg zum wettertechnischen Höhepunkt unserer Fahrradtour.

Auf dem Parkplatz bei Klatzow am fünften Haltepunkt wechselt der Regen in die höchstmögliche Qualität. Der Versorgungspavillon will wegfliegen. Alle halten fest. Böen. Blitze. Wolkenbruch. Die Nacht ist eigentlich vorbei, der Himmel bleibt schwarz. Eine knappe Stunde warten auf Wetter, bei dem man fahren kann. Meine Lust, die Fahrt fortzusetzen, hält sich grad sehr in Grenzen. Weltuntergangshumor in der Gruppe sorgt trotzdem für viel Spaß. Die nächsten Kilometer sind weniger lustig. Steinharte Beine. Es ist saukalt. Der Lenker flattert hin und her. Die Straßen sind voller Wasser.

6 Stunden Dauerregen sind endlich vorbei. Es wird Tag und wir sind in Grimmen. 10 Bananen, 10 Brötchen und anderer Kleinkram wollen nun wieder raus und dürfen das auch.

25 km bis Stralsund. Hier bin ich geboren. Meine Eltern. Meine Freundin. Mein Sohn. Alle stehen auf dem Rügendamm. Dauerlächeln bis zum Ziel. Mir fällt auf, das es schwierig ist, Leute wieder zu erkennen, wenn diese während der Tour Trikots, Jacken, und Brillenfarben wechseln. Es stellt sich die Frage, WEM man denn WAS schon erzählt hat. Letzter Stop in Samtens. Ich esse NIEEEE wieder Bananen! Der Rest läuft etwas chaotisch ab. Die Gruppe trennt sich noch zweimal. Jeder will nur noch ans Kap. Ist nicht so toll, aber irgendwie nachvollziehbar. Die Autofahrer auf Rügen erweisen sich doch als zumeist geduldig. Die berüchtigte Rumpelstrecke in Sagard kommt. Oh ja, wirklich gemütlich! Zieleinlauf. Alle sind sichtlich stolz, dass sie es geschafft haben. Mein Fanblock ist auch schon da. Wie auf der Tour mit vielen Nachbarfahrern besprochen: Erstmal ein Hefeweizen. Hmmm….ultralecker!

Danach ist davor
Nach einem kurzen Schläfchen im Hotel treffe sich Fahrer und Betreuer abends im Camp. Bombenstimmung. Klar. Eine überaus gelungene Veranstaltung . Erstaunlich ist für mich auch das Durchhaltevermögen der älteren Teilnehmer und der Frauen im Feld. Hut ab!

Mit einigen Tagen Abstand steht für mich fest, dass ich, wenn ich gesund bleibe, auf jeden Fall wieder an der Fichkona teilnehmen möchte. Da ich nun weiß, dass die Tour für mich machbar ist, steht dann das Genießen der Fahrt nochmehr im Vordergrund als schon beim ersten Mal. Vorerst bleibt eine Menge Stolz zurück, viele angenehme Bekanntschaften mit Gleichverrückten, erste Berg- und Gruppenerfahrung. Und mehrfach einige Kilometer vorn im Wind gefahren zu sein. Das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten.

Bedanken möchte ich mich zuallererst bei meiner Freundin, die mit Engelsgeduld die Vorbereitung ertragen hat (rumliegende Fahrradkomponenten und Klamotten im gesamten Haus; Ausfall des gemeinsamen Urlaubs diesen Sommer; Reduktion der Kommunikation in den Tagen vor dem Start; Trainings-, Teile- und Ernährungsgeschwafel). Begleitung, Motivation und Nachbetreuung- das hast Du toll gemacht!

Danke an das Organisations- und Versorgungsteam. Klasse Leistung. Ich denke, das sehen alle Fahrer so. Das größte Lob an Euch ist die Tatsache, das die Fichkona jedes Jahr wieder ausgebucht ist und die Leute entweder erneut teilnehmen oder andere Gernweitfahrer durch den guten Ruf “unserer” Fichkona motiviert werden, unbedingt mitfahren zu wollen. Bis bald am Fichtelberg.

Zum Wiedererkennen für die kurzweiligen Leute an meiner Seite, da auch ich mich häufig neu verkleidet habe:
Gruppe 3, Startnummer 183, schwarzes Rose-Fahrrad mit rotem Lenker, Vermesser, Spinningtrainer, 46