FICHKONA 2013 - der Wahnsinnsritt vom Berg zum Meer (von Wolf Thormeier aus Stralsund)


„ Auch das ist wieder ein Sportereignis, welches ich
wirklich nur einmal im Leben schaffen wollte“

FICHKONA 2013 – der Wahnsinnsritt vom Berg zum Meer

Die Bezwingung eines solchen „ langen Kantens“ wird zum großen Teil im Kopf entschieden!
Das war Gänsehaut pur !!! .. .die Zielankunft am Kap Arkona nach über 27 Stunden …
…. Kälte, Nässe und körperlichen Leiden ..
Die körperliche Erschöpfung war bei mir nach einem Sportevent noch nie so groß, aber auch noch
nie das Glücksgefühl, meinen Traum – mein größtes sportliches Ziel erreicht zu haben !!!
Und dann dieser „ Fanclub“ , Sportfreunde des Rad – und des Laufclubs des Hanseklinikum- Sport-
Vereines, der mich in Stralsund auf dem Rügendamm und beim letzten Verpflegungspunkt in Samtens
anfeuerte und motiviert und dann beim Zieleinlauf auf dem Kap in Empfang nahm… mir kamen
die Tränen vor Erschöpfung und vor Glück!
Aber der Reihe nach :
Alles begann im vergangenen Jahr mit der Idee, nach meinem Radmarathon in Norwegen zwischen
Trondheim und Oslo ( der schon ziemlich an meinen letzten Kraftreserven gezerrt hatte) einmal in
meinem Leben an Deutschlands längstem Radmarathon nonstop vom Fichtelberg bis nach Kap Arkona
über 620 km teilzunehmen!
Vor einigen Jahren, als ich gerade mit dem Radsport begann, waren Dimensionen von über 100 km
utopisch, aber nach einigen Vätternrundan- Teilnahmen und dem besagten Radmarathon von Trondheim
nach Oslo , schwelgte in mir diese Wahnsinnsidee!
Der absolute Glücksfall war, dass ich bei meiner ersten Bewerbung zu dieser Tour , als einer der
ganz wenigen einen Startplatz zugesichert bekam, was einem Sechser im Lotto gleichkommt ( hier
werden die Teilnehmer wirklich ausgelost um die Höchstteilnehmerzahl bei 180 Radfahrern zu halten)
!
Also hieß es ab diesem Zeitpunkt … viel trainieren, auch im Winter, um schon im Juni eine stattlich
Anzahl an Trainingskilometern erreicht zu haben. Da der Winter 2013 aber nicht enden wollte, konnte
der Einstieg in die Freiluftsaison erst im April erfolgen. Dann ging es aber recht gut los, es folgten
einige schöne RTF Rennen ( Marlow, Laage, Rügenrund ) sodass ich relativ zeitig , für meine Verhältnisse
eine gute Form aufbaute. Doch meine Trainings Wut sollte sich jäh rächen !! Am Pfingstmontag
wachte ich nach einem Trainingssturz auf der Meiningenbrücke im Krankenwagen auf und
wurde ins Hanse Klinikum Stralsund mit Verdacht auf Gehirnerschütterung , gebrochenem Finger
und Sehnenabriss des Daumens der linken Hand, eingeliefert —- eine Woche später wurde ich an der
Hand operiert und bekam eine dicke Bandage.
aus der Traum !!!?? Jetzt waren es noch 5 Wochen , bis zum START !
Ich wollte aber um keinen Preis meinen Startplatz kampflos abgeben .. also begann ich nach einer
Woche mit leichtem Training – einhändig, und hier noch unter einigen Schmerzen in den lädierten
Knien. Nach und nach spielte ich mich ein und arrangierte mich mit der Art des „ einhändigen“
Fahrens ! Zwei Wochen später sollte meine „ Nagelprobe“ sein, wenn es mir gelingt die 300km
lange Vätternrunde zu schaffen ( egal in welcher Zeit!! ) , werde ich auf jeden Fall an den Fichkona – Start gehen! Also ab nach Schweden mit Arne, Katrin, Fred und Hartmut, und es gelang mir , noch
unter einigen anderen widrigen Umständen, diese Strecke zu bewältigen ! … also war der Entschluss
gefasst – ich starte bei der Fichkona 2013 !
In den verbleibenden 2 Wochen fuhr ich noch lockere Runden, sodass ich in der Vorbereitung auf
eine Trainigskilometerzahl von 2100km kam … (wie ich später in Gesprächen mit anderen Teilnehmern
erkannte , wohl nicht einmal die Hälfte, der meisten Starter. )
Nach einer abenteuerlichen Bahnreise die ich gemeinsam mit Frank Bollnow nach Oberwiesenthal
unternahm ( darüber könnte man eine eigene Geschichte schreiben!! ) stand ich also am Samstag den
29.06.2013 um 10.00 Uhr auf dem Fichtelberg zum großen Countdown ! Das Wetter hatte sich stark
verschlechtert, es regnete, war kalt ( 8°C ) und es war so gut wie keine Sicht! Diverse Radsportler im
Anmeldebereich warten auf den Start. Ich entdecke einige bekannte Gesichter – Von der Insel Rügen
Frank Giebel der in Gruppe 2 fahren wird , Olaf Wutzke, aus Polchow (Rüg) sowie die mir von
diversen RTF´s bekannten Kühlungsborner Rico und Klaus starten in meiner Gruppe.
Naja, und dann eben auch der mit mir angereiste Frank, mein Nachbar aus der Langenstr. in Stralsund,
der diesen Tripp schon im Vorjahr bewältigte .
Ja, da stand ich nun, und hatte große Angst vor diesem langen Kanten … was wird er bringen ?
Hoffentlich geht es nicht zu schnell los … wie ist es mit dem Bremsen auf der nassen Fahrbahn und
vor allem .. wie hält sich die Hand ??
In den letzten Stunden vor dem Start bekam ich unzählige SMS- Nachrichten … ich wusste, eine
Menge Freunde und Bekannte hinter mir, die Anteil an meinem großen Traum nahmen … danke an
alle !
10,00 Uhr … die große Glocke auf dem Berg wird geläutet – Start !!!
Rund 180 Radfahrer setzen sich in Bewegung – es geht steil bergab in Richtung Tschechien, aus
Angst vor einem Sturz und halte mich fast am Ende des Feldes auf . Gleich bei der ersten Gefahrenbremsung
gerate ich stark ins Schleudern .. meine Befürchtungen bestätigen sich – das heißt für
mich noch größere Aufmerksamkeit an den Tag zu legen!
Auch meine 2. Befürchtung sollte sich bestätigen … das Tempo der Truppe ist enorm hoch , das Feld
zieht sich sehr weit auseinander, im hinteren Bereich ist größte Anstrengung gefordert, um immer
wieder aufzuschließen. Am ersten Verpflegungsstopp nach ca. 90km steht plötzlich Siggi ( der gerade
vor zwei Wochen am Norwegen- Radmarathonan teilnahm und um 32 Stunden im Sattel saß !!)
an der Einfahrt, ein erster Lichtblick , Freude und Motivation zugleich! Nach ein paar Nudeln, viel
Trinken usw. geht es, jetzt in Leistungsgruppen eingeteilt, weiter.
In meiner Gruppe 3 sind etwa 45 Radler, die sich ein Tempo 30 und eine Endzeit um 24 Stunden
vorgenommen haben. Das dieses nicht eingehalten werden kann, sollte sich bald zeigen ! Besonders
der scharfe Kantenwind und der bald einsetzende starke Regen ließ das Tempo immer wieder verringern,
auch stellte sich heraus, dass die Gruppe nicht sehr homogen war, was zu öfteren Ausbremsen
der Spitze des Feldes führte und starken Kraftanstrengung in den Händen erforderte. Leider gab
Frank schon sehr früh, wegen des hohen Tempos am Beginn , aber auch weil er im Kopf nicht wirklich
wollte , nach 130 km auf !
Nach Kemnitz ( 65 km ) ließen die „ elenden Berge“ , nach, es folgen lange gerade Strecken.
Es setzte der Regen ein, und ich musste feststellen , dass ich eines der wichtigsten Teile vergessen
hatte – die Regenüberzüge für die Schuhe ! Innerhalb der nächsten Minuten hatte ich riesige Mengen
von Wasser in den Schuhen und es wollte auch nicht wieder heraus!
284 km…. Potsdam, das Highlight der Tour.! Kurz vor Potsdam sammelt sich das Feld noch einmal
zum Essen und zum Fertig machen zur Nachtfahrt. Da die Gruppe 4 nur eine halbe Stunde hinter uns
ist warten wir , um gemeinsam durch die Potsdamer Altstadt geführt zu werden. Und das war
dann ein Wahnsinnserlebnis – mehrere Polizeimotorräder sperren uns die Durchfahrt … eine leider
einmalige Sache,
in allen anderen Stadtdurchfahrten stehen wir fast an jeder Ampel !
Nacht .. es wird ruhig im Feld… jeder hat mit sich selbst zu tun. Es ist unglaublich, in wieweit man
in diesen Momenten in seinen Körper hineinhört, die Stärke der „ Leiden“ nach der Stärke der
Schmerzen sortiert .. Hände / Nacken/ Krämpfe im rechten Bein … usw.
437 km …Neubrandenburg erreichen wir nach einer langen Nachtfahrt , ich bin schon ziemlich am
Ende, aber wenn man weiß, dass in Stralsund ein motivierender Fanclub auf mich wartet, kann man
den Trip einfach nicht abbrechen!!
Altentreptow ist dann die vorletzte Verpflegungsstation.
Hier kann endlich das Licht
ausgeschaltet werden. Ich habe Magenkrämpfe,
und Sodbrennen von dem vielen
süßen Riegeln.
Jetzt ,denke ich, ist endlich die Zeit, mich
zu outen, und mein Stralsunder Vereinstrikot
überzuziehen, um zu zeigen , dass ich
„ nach Hause “ fahre !!!
486 km … Demmin, die Durchfahrt, durch
diese Stadt ist für mich wohlbekannt, und
ich sehe in den Gesichtern und Bewegungen
der anderen Mitfahrer , dass es wohl
keinem besser geht als mir … also dann
weiter !!
520 km … Grimmen, an der McDonald
Tanke ist der letzte Stopp vor Stralsund, ich
schaue auf die Uhr und sehe, dass selbst
8-9.00 Uhr nicht mehr realistisch für die
Stralsund-Durchfahrt sein wird,
Nun folgen dreißig Kilometer bis nach
Stralsund, die ich fast im Schlaf abspulen
kann.
Dann endlich Stralsund in Sicht !!!
Ich mogele mich langsam an die Spitze, die Mitfahrer erkennen schnell… warum, und lassen mich
gerne passieren ! Einfahrt und kurz vor dem Rügendamm noch ein kurzer Stopp…. wo mögen meine
Leute sein, haben sie überhaupt so viel Geduld gehabt, so lange auf unsere Truppe zu warten ??
Dann kam uns plötzlich Peter Arnold mit dem Fahrrad entgegen, Begrüßung und dann dreht er ab in
Richtung Rügendamm—- und was ich dort sah, konnte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwarten!
17 Sportfreunde ( ( Bärbel, Peter, Kirsten, Arne, Gerd, Elke, Katrin, Falko, Katrin, Randi, Elke,
Dieter, Gert, Martina, Werner, Steffi, Petra ..) mit Transparenten, Fahnen und sogar Feuerwerk …
jubelnd und anfeuernd … Wahnsinn und in mir erwachen neue Kräfte !!!
Bis zur letzten Verpflegung in Samtens fahre ich jetzt, mit einem mächtigen Adrenalinschub, vorne
weg !
Hier besuchen mich Petra, Elke, Kirsten, Arne und Gerd ! … es wird viel erzählt und gelacht .. ich
bin wieder hochmotiviert – jetzt noch 60 km !!!
Doch nach einer Unaufmerksamkeit passiert es, dass sich an meinem Rad die Gangschaltung so verkeilt,
dass es nach einer kurzen Reparatur nur gelingt einen Gang festzustellen und ich von da nicht
mehr schalten kann – es kommen aber noch die Steigungen um Lietzow – Mist!
Der Wind ist noch bis Sagard recht günstig aber ab Bobbin , nach dem Aufwachpflaster, sollte die für
mich schlimmste Strecke (20km) kommen .. . voller Gegenwind in Böen – ich habe Aufgabegedanken,
selbst hier so kurz vor dem Ziel !! Aber ich weiß, dass auch auf dem Kap noch einige vom Verein auf
mich warten … also beißen !! Dann Altenkirchen … noch 8 km … Rückenwind !!! Ich bin völlig
am Ende, kann kaum noch in die Pedale treten , es geht nichts mehr und will mich zurückfallen lassen,
aber alle, besonders die Capitanos, lassen mich nicht aus dem Feld heraus … wir wollen und werden
alle gemeinsam das Ziel erreichen!!
13.15Uhr Kap Arkona ist erreicht nach über 27 Stunden im Sattel… Gänsehaut, Freudentränen und
völlige Erschöpfung ! Hier warten schon Bärbel , Franka, Kirsten, Peter und Arne … danke !
Nach kurzer Verschnaufpause schmeckt der Sekt und bringt mich wieder auf die Beine und meine Lebensgeister
kehren langsam zurück. !!
Auch Olaf , von der Insel Rügen hat die Tour super gut überstanden … großen Respekt !! Respekt
auch an seinen Vater der die ganze Tour privates Begleitfahrzeug war!
Im Ziel ist auch Gottfried Mix , der in diesem Jahr Vättern und Trondheim / Oslo bewältigte und der
mich hier beglückwünschte .
Es war das Aufregenste und Anstrengenste , was ich sportlich in meinem Leben je je erlebte und durchgehalten
habe – nur der Wille kann so eine Leistung möglich machen …
… ich denke aber auch nur einmal !!!
Wolf Thormeier