Nach 615 Kilometern lockt das Meer (Interview in der Lausitzer Rundschau)


Nach 615 Kilometern lockt das Meer
RADSPORT Interview mit Ausdauer-Athlet und Extremsportler Olaf Hertam aus Buckow

Olaf Hertam aus Buckow ist ein Ausdauer-Athlet par excellence. Treffender formuliert ein Extremsportler. Wer sonst setzt sich am Fichtelberg (Erzgebirge) aufs Rennrad, um mal eben an den Strand zu fahren? Der liegt in 615 Kilometer Entfernung auf Kap Arkona (Rügen) und sollte binnen 24 Stunden erreicht werden. So sieht es zumindest der Fahrplan des Radmarathons vor, der schlicht “Fichkona” genannt wird. Ein schwacher Trost: Der 49-Jährige vom Radsportverein Calau fuhr in Begleitung von weiteren 171 Fahrern aus ganz Deutschland und wurde am Fuße der Leuchttürme von Familienmitgliedern empfangen.
Nach 615 Kilometern lockt das Meer Olaf Hertam ist leidenschaftlicher Radsportler. Foto: Uwe Hegewald/uhd1

Herr Hertam, was bewegt Sie dazu, sich so etwas anzutun?
Es ist die Freude am Ausdauersport. Und der Spaß, mit Gleichgesinnten zu radeln, die dasselbe Ziel vor Augen haben und sicher auch ein gewisser Ehrgeiz, eine so große Herausforderung zu meistern. 171 Sportlerinnen und Sportler starteten in diesem Jahr auf dem Gipfel des Fichtelberges zur 16. Fichkona.

Woher wussten Sie von dem Radmarathon?
In Sportlerkreisen ist der Wettbewerb bekannt, was auch die hohe Anzahl der Bewerber belegt. In diesem Jahr haben sich rund 300 Fahrer für einen der 180 Startplätze beworben. Ich zählte wieder einmal zu den Teilnehmern mit Losglück.

Wieder einmal?
2011 habe ich das erste Mal an der Fichkona teilgenommen und auch das Ziel erreicht. 2012 erhielt ich eine Absage.

Wie darf man sich den Wettbewerb im Detail vorstellen?
Geschlossen geht es den Fichtelberg hinunter und über Oberwiesenthal bis zur ersten Verpflegungsstelle. Danach erfolgt die Einteilung in vier Leistungsgruppen, die dann mit jeweils einem Führungs- und einem Schlussfahrzeug weiteradeln. In den Begleitfahrzeugen befinden sich auch die Säcke mit der persönlichen Wechselkleidung. Ich hatte mich für die Leistungsgruppe zwei eintragen lassen.

Genau genommen geht es doch vom Fichtelberggipfel in 1214 Metern Höhe bis Kap Arkona, das 45 Meter über dem Meeresspiegel liegt, immer nur bergab?
Das sagen sie. Gerade das Erzgebirge hält am Anfang der Tour einige anspruchsvolle Anstiege bereit. Und dann sind da noch die Wetterbedingungen, die sich keiner aussuchen kann. In diesem Jahr sind wir zwischen Bad Düben und Potsdam drei Stunden am Stück nur im Regen gefahren. Da liegt die Motivation fast am Boden.

Was wird zum Heben der Moral getan und was, um für das nächtliche Unterfangen “Schlaflos im Sattel” gewappnet zu sein?
Aufbauende Gespräche mit Leidensgefährten oder das Erzählen von Witzen. In diesem Jahr hat es sich erstmals zugetragen, dass einige Sportfreunde nachts um 2 Uhr das “Glückauf-Lied” anstimmten und damit die anderen Teilnehmer zum Schmunzeln brachten. Für Motivationsschübe sorgt auch das kulinarische Angebot an den sieben Verpflegungsstellen, die nach jeweils rund 90 Kilometern angesteuert werden. Dort werden die Teilnehmer mit vielen Köstlichkeiten verwöhnt.

Und das wären?
Belegte Brötchen, Suppen, Obst, Müsli, Kalt- und Heißgetränke, Energy Drinks, Kuchen und sogar die bei Ausdauersportlern beliebte Haferschleimsuppe.

Sie selbst bezeichnen sich als Ausdauersportler. Wodurch wurde Ihre Leidenschaft geweckt?
Bereits als Kind haben mich die Läufer des GutsMuths-Rennsteiglaufs fasziniert, die in meiner Geburtsstadt Eisenach gestartet sind. Später habe ich mich dort eingereiht und den Supermarathon beim größten Volks- und Landschaftslauf 20-Mal absolviert. 25 Jahre bin ich Marathon gelaufen und dabei acht Mal unter drei Stunden geblieben. Die persönliche Bestzeit liegt bei 2:54 Stunden.

Und wann haben Sie mit dem Radeln begonnen?
Nach Knieproblemen bin ich 2008 aufs Rennrad umgestiegen und dem Radsportverein Calau beigetreten. Um für die Fichkona fit zu sein, trainiere ich jährlich rund 7000 bis 8000 Kilometer. Aufgrund des langen Winters und Regenperioden im Frühjahr war es in diesem Jahr besonders schwierig, sich für den Ritt vom Fichtelberg zum Kap in Form zu bringen. Beste Trainingsmöglichkeiten bietet jährlich der Spreewald-Marathon vor der Haustür, bei dem ich auch schon mal 260 Kilometer am Stück unterwegs war.

Was hat Sie bei Ihren beiden Fichkona-Teilnahmen besonders beeindruckt?
Der Zusammenhalt im Feld und die Professionalität, mit der die Veranstalter den Wettbewerb stemmen. Erhabene Momente stellen sich ein, wenn der Morgen erwacht, die Kräfte zurückkehren und die Fahrradbeleuchtung wieder ausgeschaltet werden kann. Beeindruckend ist die Motorrad-Polizeieskorte in Potsdam. Wir wurden zügig durch die Landeshauptstadt geleitet und mussten an keiner roten Ampel absteigen. Ein tolles Gefühl ist es auch, wenn es in Stralsund über den Rügendamm geht.

Dann ist man fast am Ziel?
Fast. Von der Brücke bis zu den Leuchttürmen von Kap Arkona sind es noch einmal knapp 70 Kilometer. Und die können verdammt schlauchen. In diesem Jahr warteten meine Frau Bärbel und Sohn Carl am Ziel, das hat zusätzlich motiviert. Gemeinsam haben wir noch zwei Urlaubstage auf Rügen verbracht.

Hat das Teilnehmerfeld die anvisierte Vorgabe, unter 24 Stunden Fahrzeit zu bleiben, erreicht und gab es ein Körperteil, das nach diesen Strapazen nicht schmerzt?
Ich habe die Ziellinie nach 23 Stunden und 50 Minuten überquert. Abzüglich der Pausen hat der Fahrradcomputer eine Netto-Fahrzeit von 20:15 Stunden und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 30,5 Kilometer pro Stunde angezeigt. Geschmerzt hat eigentlich nur der Hintern. Am Tag danach sagt man sich deshalb “nie wieder”.

Und nach zwei Wochen?
Da kommen Zweifel auf und man neigt zum Entschluss, sich ein drittes Mal zu bewerben. Dann aber bei besserem Wetter, wofür leider keine zuverlässige Prognose zur Verfügung steht. Mit Mitgliedern aus unserem Verein würde eine erneute Teilnahme sicher noch mehr Spaß machen. Vielleicht kann ich ja noch einen überzeugen.

Was passiert mit Teilnehmern, die es nicht binnen 24 Stunden von der höchstgelegenen Stadt Deutschland bis zur Ostseeküste schaffen?
Das Motto der Fichkona lautet zwar innerhalb von 24 Stunden vom Berg zum Meer, aber es ist kein Dogma. Für die Gruppen drei und vier, also etwa die Hälfte der Teilnehmer, steht das Ankommen und nicht die Zeit im Vordergrund. Keine Gnade kennen die Organisatoren, wenn auf den Straßen nachts die Mittellinie überfahren wird. Bei wiederholten Verstößen werden Teilnehmer aus dem Feld genommen. Das geschieht zur eigenen Sicherheit und zu der anderer Sportler und Verkehrsteilnehmer. Konzentration ist ein wichtiges Kriterium, um Unfälle zu vermeiden. In diesem Jahr waren rund zwölf Fahrer in einem Sturz verwickelt.

Mit Olaf Hertam

sprach Uwe Hegewald

Zum Thema:
Olaf Hertam ist 49 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Beruflich ist der Ausdauersportler aus Buckow (Stadt Calau) als Bauingenieur für Betontechnologie tätig.