Fichkona 2010 – Wir fahren Baden


Die Fichkona, die dieses Jahr zum 13. mal stattfand ist ein 600 km non-stop Radmarathon vom Fichtelberg zum Kap Arkona, dem nördlichsten Punkt Rügens. Eigentlich hatte ich schon vor fünf Jahren geplant direkt nach meinen Abiturprüfungen an der Fichkona teilzunehmen, diesen Plan aber zugusten der Lernerei wieder aufgegeben. Seit dem schiebe ich dieses hehre Ziel vor mir her. Erst jetzt als chronisch gelangweilter und überbezahlter Doktorand konnte ich mich dazu durchringen das Ziel erneut etwas konkreter ins Auge zu fassen. Der erste Schritt bestand in der frühzeitige Anmeldung. Diese war extrem wichtig, denn die 180 Startplätze waren innerhalb einer Stunde nach Anmeldungsbeginn vergriffen. Spinning während der kalten Jahreszeit und regelmäßige Teilnahme an den ASVZ Trainings waren der Kern meiner Vorbereitung für die Fichkona. Aufgrund eines Besuchsmarathons und einiger Dienstreisen war leider keine Zeit für lange Vorbereitungstouren, so dass ich am 26. Juni mit 2000 km in den Beinen und einer maximalen Tagesleistung von 200 km ziemlich schlecht vorbereitet fühlte. Zu meiner Entschuldigung muss ich jedoch anbringen, dass Petrus mein Training immer wieder durch Regen boykottiert hatte und ich mich mehrmals beim Schlauchwechseln bei strömendem Regen gefragt habe, wieso ich den ganzen Scheiss überhaupt auf mich nehme. Jedenfalls stand ich am 26. Juni morgens um 8 Uhr bei Nebel und frostigem Wind auf dem Fichtelberg und habe meinen Drahtesel für den kleinen Ausritt an die Ostsee gesattelt. Auch meinem Rad war bei dem Gedanken gleich 600 km am Stück zu fahren scheinbar nicht ganz wohl, denn beim letzten Aufpumpen hat sich das Ventil am Vorderrad entschlossen, den Geist aufzugeben und ich habe mich erneut im Schnellschlauchwechseln geübt. Nachdem die unterwegs benötigten Klammotten in den Besenwagen verladen waren fiel um 10 Uhr der Startschuss und das Feld rollte geschlossen hinunter nach Bärenstein. Nachdem sich die Gruppen 1 und 4 vom Rest des Feldes separiert hatte stand erst einmal ein Rote-Ampel-Marathon durch Chemnitz an. Es ist unverständlich warum nicht wie in den letzten Jahren eine Polizeieskorte für eine rasche durchfahrt sorgte. Zusammen mit Gruppe 2 ging es dann rasant zur ersten Rast in Bernsdorf nach 88 km. Die Verpflegung war echt super, belegte Brote, Nudelsalat, Viba-Riegel, Obst, Kuchen, Schokolade haben sehr geholfen die Motivation aufrecht zu halten.

Eines der Highlights war sicher die Fahrt durch Potsdam mit Polizeieskorte, ohne auf die Ampeln zu achten mit 30 Sachen durch die Stadt zu rasen hat schon seinen Reiz. Leider folgte direkt darauf der Einbruch der Dunkelheit. Die Abenddämmerung war noch spannenend, Heissluftballons, der aufgehende Vollmond und der Sonnenuntergang waren sehenswert. Doch mit dem Einschalten der Fahrradbeleuchtung setzte auch das Frösteln ein, so dass ich bei der nächsten Rast in Gransee nach 367 km nach dem Genuss einer wärmenden Brühe lieber noch die warme Radjacke aus dem Kleidungssack holte. Nach etwa 400 km gegen 2 Uhr Nachts hatte mein Schaltbowdenzug genug und ich hatte das Vergnügen die nächsten 30 km bis zur nächsten Pinkelpause im höchsten vorhandenenen Gang zurückzulegen. Währen des Pinkelstops gelang es mir trotz der genervten Mitfahrer, die dringend weiter wollten, mit dem Licht der Kopflampe meinen Schaltbowdenzug auszutauschen und so die Schaltung wieder einigermaßen funktionsfähig zu machen. Ich hatte schon gedacht, dass ich wegen dieses technischen Defekts aufgeben muss, doch zum Glück war im Besenwagen ein Ersatzbowdenzug vorhanden – ab sofort auch in meiner Radtasche. Die Führungsarbeit in den Nachtstunden war sehr schwierig, insbesondere das Tempo über die Hügel Nordbrandenburgs aufrechtzuhalten, obwohl man nur dass Blinklicht des Führunsfahrzeugs vor sich sieht.
Eine große Erleichterung ging durch die Gruppe als am Horizont der erste orange Schimmer das Morgengrauen ankündigte. Das Vogelgezwitscher und die von der tiefstehenden Sonne beleuchteten Nebelschwaden in den Tälern ließen auch die beißende Kälte schnell vergessen. Die schlimmste Phase waren die Morgenstunden nach der Durchfahrt durch Neubrandenburg, ewig lange schnurgerade Alleen, der Hintern schmerzt höllisch und man muss all seine Konzentration aufbringen um nicht dem Sekundenschlaf nachzugeben. Ich habe mir dann trotz Angst vor Magenbeschwerden irgendwann ein Red Bull aus dem Begleitfahrzeug reichen lassen und so die nächsten Kilometer überbrücken können. Nach 500 Kilometern hat sich dann auch noch mein Flaschenhalter gelockert, den ich jedoch nachdem die Flasche in die Trikottschasche umquartiert worden war, provisorisch während der Fahrt wieder befestigen konnte.

Erst die Überquerung der neuen Rügenbrücke auf einer für uns gesperrten Spur sorgte wieder für Hochstimmung im Fahrerfeld. Wir waren uns zwar alle bewusst, dass uns auf der Insel noch etwa 70 km bevorstehen, doch schon das Erreichen der Ostsee war für uns ein großes Erfolgserlebnis – der Rest ist Kür. Nach einer letzten Pause in Samtens, die ich vor allem genutzt habe um meinem Hintern etwas Erholung zu gönnen, haben wir dann im gemäßigten Tempo die Hügel Rügens in Angriff genommen. Die letzte Große Herrausforderung war die Hassliebe von Sagard, ein 1 km langes Stück mit ziemlich rauem Kopfsteinpflaster. Erstaunlicherweise hat mir aber der rasante Ritt über die Pflastersteine noch einmal einen Motivationsschub verpasst. Es war noch genug Kraft vorhanden um aus dem Sattel zu gehen und so die Schmerzen in Grenzen zu halten.

Besonders erstaunlich fand ich den Zusamenhalt in meiner Gruppe, 20 km vor dem Ziel wurden die zwei mitfahrenden Frauen an die Spitze des Feldes geholt. Unbeschreiblich ist das Gefühl, als der Leuchtturm von Kap Arkona das erste Mal in Sicht kam. Ein 22 jähriger Mitfahrer stürzte 500 m vor dem Ziel infolge eines abrupten Bremsmanövers, doch die Gruppe wartete bis er wieder auf dem Rad saß und erst dann ging es den letzte Hügel hinauf zum Kap Arkona. Ich kann das Gefühl beim Überqueren der Ziellinie nicht in Worte fassen, es ist unbeschreiblich und ohne jeden Zweifel all die vorrangegangenen Qualen wert. Ich bin zugegebenermaßen nicht nahe am Wasser gebaut, aber in diesem Moment konnte ich die Freudentränen nicht zurückhalten. Es war erhebend, die Zielzeit von 25 h und 15 Minuten ist vollkommen unbedeutend, denn der Hauptgegner bei dieser Tour ist der innere Schweinehund, und der hat eine gnadenlose K.O. Niederlage davongetragen.

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